Familienbildung im Kontext des SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe

Auf der Bundesebene ist Familienbildung durch das SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe geregelt.
Hier ist vor allem § 16 SGB VIII von Bedeutung.

Sozialgesetzbuch (SGB) – Achtes Buch (VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – (Artikel 1 des Gesetzes v. 26. Juni 1990, BGBl. I S. 1163)
§ 16 Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie

(1) Müttern, Vätern, anderen Erziehungsberechtigten und jungen Menschen sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden. Diese Leistungen sollen Erziehungsberechtigte bei der Wahrnehmung ihrer Erziehungsverantwortung unterstützen und dazu beitragen, dass Familien sich die für ihre jeweilige Erziehungs- und Familiensituation erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten insbesondere in Fragen von Erziehung, Beziehung und Konfliktbewältigung, von Gesundheit, Bildung, Medienkompetenz, Hauswirtschaft sowie der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit aneignen können und in ihren Fähigkeiten zur aktiven Teilhabe und Partizipation gestärkt werden. Sie sollen auch Wege aufzeigen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können.

(2) Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie sind insbesondere 

  1. Angebote der Familienbildung, die auf Bedürfnisse und Interessen sowie auf Erfahrungen von Familien in unterschiedlichen Lebenslagen und Erziehungssituationen eingehen, die Familien in ihrer Gesundheitskompetenz stärken, die Familie zur Mitarbeit in Erziehungseinrichtungen und in Formen der Selbst- und Nachbarschaftshilfe besser befähigen, zu ihrer Teilhabe beitragen sowie junge Menschen auf Ehe, Partnerschaft und das Zusammenleben mit Kindern vorbereiten,
  2. Angebote der Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen,
  3. Angebote der Familienfreizeit und der Familienerholung, insbesondere in belastenden Familiensituationen, die bei Bedarf die erzieherische Betreuung der Kinder einschließen.

Dabei soll die Entwicklung vernetzter, kooperativer, niedrigschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Angebotsstrukturen unterstützt werden.

(3) Müttern und Vätern sowie schwangeren Frauen und werdenden Vätern sollen Beratung und Hilfe in Fragen der Partnerschaft und des Aufbaus elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen angeboten werden.

(4) Das Nähere über Inhalt und Umfang der Aufgaben regelt das Landesrecht § 16 SGB VIII.

Die gesetzlichen Grundlagen von Familienbildung auf der Landesebene hingegen bilden die Ausführungsgesetze zum Kinder- und Jugendhilferecht und zum Teil die Weiterbildungsgesetze der Bundesländer

SGB VIII als gemeinsame gesetzliche Grundlage

Auch wenn die Familienbildung kommunal ausgestaltet und auf dieser Ebene angeboten wird, so hat sie im Kontext der Kinder- und Jugendhilfe doch eine gemeinsame bundesweite rechtliche Verankerung im Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). §1 SGB VIII formuliert nicht nur das Recht eines jeden jungen Menschen auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit, sondern auch den Auftrag der Jugendhilfe, zu einer Verwirklichung dieses Rechts beizutragen, indem Eltern und andere Erziehungsberechtigte durch Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie unterstützt und positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt geschaffen werden.

 

Dieser Auftrag konkretisiert sich in u.a. § 16 SGB VIII (Allgemeine Förderung der Erziehung in der Familie): Hier wird ein allgemeiner Anspruch für Eltern bzw. Erziehungsberechtigte auf Familienbildung, Beratung und Familienfreizeit formuliert. Landesgesetze regeln die Art und den Umfang der Familienbildung über Ausführungsgesetze zum SGB VIII, vielfach aber auch in Erwachsenen- und Weiterbildungs- bzw. Kinderschutzgesetzen. Ziel der Familienbildung ist es, Mütter, Väter und andere Erziehungsberechtigte in ihrer Beziehungskompetenz sowie der Wahrnehmung ihrer Erziehungs-, Bildungs- und Fürsorgeverantwortung zu stärken und den jeweiligen Lebenslagen, Interessen und Bedürfnisse der Familien entsprechende Angebote der Information, Bildung und Begleitung vorzuhalten. Es geht darum, Ressourcen und Kompetenzen in den Familien zu fördern, die diese in einer eigenständigen, verantwortungsbewussten Lebensführung sowie in einer eigenverantwortlichen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben stärken, und so zu einem Aufwachsen aller Kinder im Wohlergehen beizutragen.

AWO Bundesverband e.V. und Zukunftsforum Familie e.V.: Familien begleiten – von Anfang an!, Positionspapier Familienbildung (2019)

Planung, Steuerung und Kontrolle durch öffentlichen Jugendhilfeträger

Das Feld der Familienbildung ist von zwei Gesetzesbereichen bestimmt, dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz) und den jeweiligen Gesetzen der Bundesländer zur Erwachsenen-bzw. Weiterbildung. (…).

Insgesamt strukturiert das SGB VIII das Feld der Familienbildung stärker als die Erwachsenen- und Weiterbildungsgesetzgebung der Länder. Der öffentliche Jugendhilfeträger ist mit der Planung, Steuerung und Kontrolle von Maßnahmen der Familienbildung nach § 16 SGB VIII betraut. In dieser Rolle ist er kommunal verankert und in seiner Steuerungsaufgabe strukturell näher an den Bürgerinnen und Bürgern einer Kommune. Aus dieser Steuerungsaufgabe ergibt sich das Erfordernis, Bedarfe konkret zu analysieren und zu priorisieren. Darauf basierend sind spezifische Ziele der kommunalen Familienbildung zu formulieren und mit Maßnahmen der Familienbildung sozialraumorientiert umzusetzen.“

Müller, M.; Bräutigam, B.;  Lentz-Becker, A. (2019): Familienbildung-wozu? – Familienbildung im Spiegel diverser Familienwirklichkeiten, S. 52ff.

präventiver Auftrag des KJHG

Das KJHG hat den präventiven Auftrag, Familien generell in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz zu stärken – mit dem Instrument der Familienbildung. Das SGB VIII geht vom Recht eines jeden jungen Menschen auf allseitige Entwicklung seiner Persönlichkeit aus. Dieses zu sichern, ist die zentrale Aufgabe der Jugendhilfe und damit auch der Familienbildung im Sinne dieses Gesetzes.

Mit den Leistungen zur Förderung der Erziehung in der Familie, die der § 16 KJHG – bei einem weiten Familienbegriff – nicht abschließend aufzählt, hat die Jugendhilfe den Auftrag und die Möglichkeit, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken und sie zu befähigen, ihre Erziehungsverantwortung besser auszuüben. Aber nicht allein die Stärkung der elterlichen Aufgaben von Erziehung und Sozialisation sind Gegenstand von Angeboten der Familienbildung im Sinne des § 16.

Sie reichen von

  • beziehungsstärkenden, gesundheitsfördernden Angeboten,
  • Angeboten zur Stärkung der Alltagskompetenzen,
  • über Angebote der Haushaltsführung und Gestaltung von Familien- und Lebensführung,
  • bis zu Angeboten der Freizeit- und Erholungsgestaltung,
  • der kulturellen Bildung und dem Erwerb von Medienkompetenz,
  • der Gemeinschaftsbildung und
  • des sozialen Engagements von Familien.

Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie nehmen im Gesamtkatalog der Aufgaben nach dem SGB VIII allerdings einen verhältnismäßig kleinen Raum ein.

Gesamt- und Planungsverantwortung der Jugendämter

Jugendämter begreifen sich in der Regel noch nicht ausreichend als Orte der Initiierung, Steuerung und Moderation und begegnen ihrem gesetzlichen Auftrag offensiv im Sinne des §16 i.V.m. §§ 78, 79, 85 SGB VIII. Sie haben die Gesamt- und Planungsverantwortung inne und müssen gewährleiten, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienst und Veranstaltungen rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Familienbildung im Sinne des SGB VIII/KJHG §16 entspricht einer gesetzlichen Pflichtaufgabe.

Meier-Gräwe, Uta; Pathenschneider, Mira, Erarbeitung wissenschaftlicher Grundlagen und Materialien für die Entwicklung eines konsistenten Modells der Familienbildung im Land Brandenburg (2012), S. 12.f.

Subsidiarität

„Das KJHG geht in seinen Vorstellungen vom Primat der Familienerziehung aus, sieht aber deren adäquate Gewährleistung nicht allein als abhängig von den pädagogischen Einstellungen und Kompetenzen der Eltern an, sondern auch von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, auf deren positive Gestaltung Jugendhilfe aufgefordert ist, Einfluss zu nehmen. Damit folgt das KJHG dem Gedanken der Subsidiarität, mit welchem nicht allein auf das jeweils kleinere und unmittelbare ’soziale System‘ (hier: die Familie) abgestellt wird, welches zur Leistungserbringung in der Lage ist, sondern auch die Förderung und Unterstützung seitens der weiteren und größeren Sozialsysteme betont, die für die Leistungserbringung die notwendigen Voraussetzungen zu erbringen verpflichtet sind.(…)

Pluralisierung

Gerade unter dem gegenwärtigen Strukturwandel von Familie, welcher gleichermaßen Prozesse der Pluralisierung von Lebensformen und des Wertewandels (‚Enttraditionalisierung‘) umfasst (…), stellen sich die Forderungen an die Gestaltung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen radikal neu. Dem entspricht, dass die Leistungen der Familienbildung nicht einem bestimmten Familientypus vorbehalten sind, sondern sich an unterschiedlichen familialen Lebenslagen orientieren.(…)

§ 3–5 KJHG (Zusammenarbeit öffentliche – freie Träger der Jugendhilfe)

Wenn Jugendhilfe ernsthaft dazu beitragen soll, ‚positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen‘ (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 KJHG), müssen entsprechende Leistungsangebote durch die öffentliche Jugendhilfe – in Zusammenarbeit mit den Trägern der freien Jugendhilfe (vgl. §§ 3–5 KJHG) geschaffen werden.

Derartige vorbeugende Angebote müssen früher einsetzen als die auf Unterstützung zur Vermeidung von Krisensituationen abgestellten Jugendhilfeleistungen (insbesondere §§ 17–20 KJHG).

in vielfältigen informellen und institutionellen Kontexten

Bereits nach dem 7. Jugendbericht (BMFSFJ 1986)enthält die ‚Familienarbeit‘ als zentral umfassende Jugendhilfeleistung sowohl Elemente der Erwachsenenbildung, der Erziehungsberatung, der Jugendarbeit und der Arbeit mit Kindern als auch Elemente der Familiengruppenarbeit, der Stadtteilarbeit und der Gemeinwesenarbeit. Unterstützende Aktivitäten und Angebote zur Gestaltung von Lebensverhältnissen für Familien existieren in vielfältigen informellen und institutionellen Kontexten.“

(Bundesarbeitsgemeinschaft Familienbildung und Beratung e.V. (Hg.), 2008, Familienbildung als Angebot der Jugendhilfe. Rechtliche Grundlagen. Familiale Problemlagen. Innovationen. Zweite, vollständig überarbeitete Auflage. Elmshorn, S. 6ff.)

Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe

Für Familienbildung im Sinne des § 16 SGB VIII (…) sollten in Zukunft die Landkreise und kreisfreien Städte bzw. die Kreis- und Stadtjugendämter eine stärker organisierende und koordinierende Funktion übernehmen. Damit entsprächen sie auch den Vorgaben des Kinder- und Jugendhilfegesetzes: Nach § 79 Abs. 1 SGB VIII tragen sie neben den überörtlichen Trägern die Gesamtverantwortung für die Jugendhilfe. Somit müssen sie gewährleisten, dass die zur Erfüllung der Aufgaben nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz ‚erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen‘ (§ 79 Abs. 2 SGB VIII), wozu auch die Leistungen nach § 16 SGB VIII gehören.

Jugendhilfeplanung

Durch Jugendhilfeplanung müssen sie den Bedarf an solchen Einrichtungen und Diensten ermitteln und die zu dessen Befriedigung notwendigen Maßnahmen treffen (§ 80 Abs. 1 SGB VIII). In allen Phasen der Jugendhilfeplanung haben sie die anerkannten Träger der freien Jugendhilfe frühzeitig zu beteiligen (§ 80 Abs. 3 SGB VIII). Diese können zudem über den Jugendhilfeausschuss Einfluss nehmen (§§ 70, 71 SGB VIII).“

(Textor, Martin R., 2001, Familienbildung als Aufgabe der Jugendhilfe. Ergänzende Fassung eines Referats auf der Arbeitstagung „Familienbildung als Aufgabe der Jugendhilfe“ des Sächsischen Landesjugendamtes am 16.01.2001 in Chemnitz

Kommentare zu § 16 KJHG SGB VIII

„Ziel der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie ist die Vermittlung erzieherischer Kompetenz sowie die Stärkung der Erziehungs- und Selbsthilfekraft durch Bildungs-, Beratungs- und Erholungsangebote für Eltern und Kinder. Leistungsadressaten sind junge Menschen, Mütter und Väter und – um der sozialen Wirklichkeit bei der Erziehung junger Menschen Rechnung zu tragen – andere Erziehungsberechtigte, somit auch Stiefmütter, Stiefväter, Pflegeeltern, Partner in eheähnlichen Gemeinschaften sowie auch Partner aus gleichgeschlechtlichen, eingetragenen Lebensgemeinschaften, soweit in dieser Partnerschaft Kinder leben (Münder 2019, S. 241).“

„Abs.1 Satz 1 nimmt die wachsenden Unterstützungsbedarfe in der Familie auf, ausgelöst durch gesellschaftliche Wandlungsprozesse und immer komplexer werdende Erziehungssituationen. Mit den Leistungsangeboten zur ‚allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie‘ öffnet der Gesetzgeber über die in Abs. 2 konkretisierten Angebote hinaus Spielraum für ergänzende, präventiv wirkende Angebote zur Ausgestaltung der Vorgaben gemäß § 1, Abs. 3 Nr. 2 und 4. Hierzu gehören neben individuellen Hilfen auch alltagsorientierte sowie Gemeinwesen- bzw. sozialraumorientierte Ansätze (a.a.O.)“

„Der Verpflichtungsgrad ‚sollen‘ bestimmt (allein) die Verpflichtung der Träger der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe, die diese Leistungen erbringen müssen. Für sie sind diese Leistungen Pflichtaufgabe (‚ob‘). Lediglich hinsichtlich der Wahrnehmung bzw. der Ausgestaltung der Leistungen (‚wie‘) besteht ein Gestaltungsspielraum im Rahmen der Gewährleistungs- und Planungspflicht gemäß §§ 79,79a, 80. (Münder 2019, S. 242).“

„Familienbildung i.S. Nr.1 ist anlassunabhängig und präventiv orientiert. Insoweit erfassen Leistungen nach Nr. 1 im Rahmen der aalgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie sowohl die Erweiterung der Handlungskompetenzen von Erziehungsberechtigten für ihr Zusammenleben mit Kindern als auch ihre Vorbereitung darauf (Münder 2019, S. 243).“

(Münder, Johannes. et al, 2019, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII; 8., vollständig überarbeitete Auflage. Baden-Baden)

Die ersten Worte von § 16 Abs. 1 SGB VIII verdeutlichen die anzusprechende Zielgruppe. Hierbei handelt es sich erstens um Mütter und Väter, wobei Väter nichtehelich geborener Kinder, aber auch Adoptivmütter und -väter eingeschlossen sind. Zweitens geht es um andere Erziehungsberechtigte, wobei mit diesem Begriff laut § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII neben den Personensorgeberechtigten jede sonstige Person über 18 Jahren gemeint ist, „soweit sie auf Grund einer Vereinbarung mit dem Personensorgeberechtigten nicht nur vorübergehend und nicht nur für einzelne Verrichtungen Aufgaben der Personensorge wahrnimmt“. Unter diesen Begriff fallen z.B. in der Regel nichteheliche Lebenspartner oder Stiefeltern. Damit wird der Lebenswirklichkeit mit der Vielzahl von Familienformen entsprochen. Drittens werden junge Menschen angesprochen, also Personen, die noch nicht 27 Jahre alt sind (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII). Hiermit sind Kinder, Jugendliche und Heranwachsende sowohl in ihren Rollen als Familienmitglieder gemeint als auch beispielsweise als eine separate Zielgruppe der Familienbildung, die auf Partnerschaft, Ehe und Familie vorbereitet werden sollen (vgl. § 16 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII).

Dieser alle Eltern, alle anderen Erziehungsberechtigten und alle jungen Menschen umfassenden Zielgruppe „sollen Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie angeboten werden“. Dieses Angebot wird an keinerlei Voraussetzungen und Bedingungen geknüpft (also nicht z.B. an einen erzieherischen Bedarf oder bestimmte Notsituationen) – eine in der Jugendhilfegesetzgebung neuartige Entwicklung. Hier wird deutlich, dass Familien generell in ihrer Funktion als Erziehungsinstanz gestärkt werden sollen – also unabhängig von der Familienform, der Schichtzugehörigkeit, dem Vorhandensein einer Problemlage usw. Laut § 16 Abs. 1 Satz 2, 3 SGB VIII sollen die Leistungen der allgemeinen Förderung der Familienerziehung dazu beitragen, dass Eltern und andere Erziehungsberechtigte „ihre Erziehungsverantwortung besser wahrnehmen“ und „Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei“ lösen können.

  • 16 Abs. 1 SGB VIII macht also deutlich, wie wichtig die Prävention in der Kinder- und Jugendhilfe genommen wird. Damit wird der veränderten Situation von Familien und den gestiegenen inner- und außerfamilialen Erwartungen an die Erziehung durch die Eltern Rechnung getragen. Zugleich wird die der Familie als Sozialisationsinstanz und zentraler Teil der kindlichen Lebenswelt zugesprochene Bedeutung offensichtlich: Das Kindeswohl steht im systematischen Zusammenhang zum Wohl der Familie.

Aus § 16 Abs. 1 SGB VIII geht hervor, dass es sich bei den Maßnahmen der allgemeinen Förderung der Familienerziehung um Soll-Leistungen handelt. Diese sind im Regelfall zu erbringen; im Fall der Ausnahme muss eine zwingende Begründung vorliegen.

(Textor, M. R.; Becker-Textor, I.; Büttner, P.; Rücker, St.: SGB VIII Online-Handbuch)

„Der Zielsetzung des KJHG entsprechend, die präventive Funktion der Kinder- und Jugendhilfe stärker gesetzlich auszugestalten, widmet das Gesetz den die Familien stützenden, fördernden und entlastenden Leistungen (im Vorfeld der Hilfen zur Erziehung) einen eigenen Abschnitt. Mit der Betonung der Förderung von Familien in ihren spezifischen Lebenssituationen war ein Perspektivenwechsel verknüpft: Nicht mehr die Betonung von Defiziten und Korrekturen der familialen Erziehung (Defizitorientierung) ist Ansatz- und Richtpunkt für die Tätigkeit der Jugendhilfe, sondern die Entwicklung von Fähigkeiten, Strategien und Ressourcen für eine eigenständige Lebensführung, der Aufbau von Kompetenzen für eine eigenverantwortliche Partizipation am gesellschaftlichen Leben (‚Ressourcenorientierung‘ und ‚Empowerment‘).“ (Wiesner, 2006, S. 241)

„Dem präventiven, familienunterstützenden Charakter des Gesetzes entsprechend verpflichtet die Vorschrift (gemeint ist § 16 KJHG, die Verf.) die Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Bereitstellung von Angeboten zur allgemeinen Förderung der Erziehung in der Familie vor und sieht dafür informierende, aufklärende, übende und entlastende Formen vor.“ (Wiesner 2006, S. 238 f.)

„Abs. 2 Nr. 1 weist die Familienbildung ausdrücklich als Angebot der Jugendhilfe aus“ (…) und „beschreibt im Sinne einer Rahmenvorschrift die Begriffsinhalte von Familienbildung, ohne zu einer alle Aspekte umfassenden Begriffsdefinition zu kommen. Hier wird Familienbildung verstanden als ein eigenständiger, mit anderen Arbeitsfeldern der Jugendhilfe verbundener Bereich, in dem der Familie als ganzer und ihren Mitgliedern unter Berücksichtigung der familiären Bedürfnisse, Interessen und Erfahrungen in ihren jeweiligen Aufgaben und Positionen angeboten werde, um die Lernprozesse in der Familie zu unterstützen. Dadurch sollen Handlungskompetenzen zur Gestaltung des familiären Zusammenlebens erweitert werden, um Probleme eigenständig angehen zu können.“ (Wiesner, R., 2006, S. 241)

(Wiesner, Reinhard., 2006, SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe Kommentar. 3. Auflage. München)

„Auf die Träger der öffentlichen Jugendhilfe kommt (…) die Aufgabe zu, in Zusammenarbeit mit den freien Trägern und all den anderen Anbietern das System der Familienbildung weiterzuentwickeln und bedarfsgerecht auszugestalten. Dieses System sollte Angebote (1) für alle Phasen und Übergänge im Familienzyklus, (2) zur besseren Erfüllung aller Familienfunktionen, (3) für alle Familienformen einschließlich nichtehelicher Lebensgemeinschaften sowie (4) für Familien mit besonderen Belastungen umfassen und die Vorbereitung auf Partnerschaft, Ehe und das Zusammenleben mit Kindern angemessen berücksichtigen.‘ (Textor, Martin R., 1996 a, S. 102). Zugleich muss sichergestellt werden, dass bisher kaum erreichte Zielgruppen wie Väter, unterprivilegierte oder ausländische Familien, Aussiedler, Familien in bevölkerungsarmen Regionen u.a. ausreichend berücksichtigt werden, dass es genügend Angebote für seltenere Familienformen wie Alleinerziehende, Pflege- und Adoptivfamilien oder für Familien mit besonderen Belastungen (Arbeitslosigkeit, Behinderung, Krankheit, Drogensucht, Alkoholismus usw.) gibt. Auch sollen die Träger der Jugendhilfe genügend Mittel für Familienbildungsmaßnahmen zur Verfügung stellen (vgl. §§ 4 Abs. 3, 74 SGB VIII).Ferner sollte die Fortbildung der hier tätigen Fachkräfte, nebenamtlichen Mitarbeitern und Laien verstärkt gefördert werden (vgl. §§ 72 Abs. 3, 74 Abs. 6 SGB VIII).

Die Ausgestaltung eines solchen Systems sollte aber möglichst Arbeitsgemeinschaften nach § 78 SGB VIII überlassen werden. Hier können Träger der öffentlichen und freien Jugendhilfe – möglichst gemeinsam mit Vertretern von Familien- und Erwachsenenbildungsstätten, Kindertageseinrichtungen, Schulen, Familienselbsthilfe, Beratungsstellen usw. – Maßnahmen nach § 16 SGB VIII planen, weiterentwickeln und aufeinander abstimmen. Letztlich wäre es sinnvoll, wenn der Arbeitsauftrag so erweitert würde, dass alle Angebote der Familienbildung berücksichtigt werden können. […]

Durch die Zusammenarbeit von Familienbildungsstätten, Erwachsenenbildungswerken und Jugendämtern auf der einen sowie Kindertagesstätten und Schulen auf der anderen Seite könnten Familienbildungsmaßnahmen direkt in diesen Einrichtungen angeboten werden. Auf solche Weise könnten potentiell alle Eltern mit Kindern ab drei Jahren erreicht werden (und nicht nur Mittelschichtmütter).

(alle Hervorhebungen durch die Redakteur*innen dieser Seite)

(Textor, Martin R. (1997) Familienbildung: Situation, Träger, Perspektiven

Strukturmaximen SGB VIII

Münder, Johannes et al Strukturmaximen des SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe (2019)

Schon Mitte der 1980er Jahre wurden Zielbestimmungen und Prinzipien einer modernen Jugendhilfe mit den Begriffen „Leistung statt Eingriff“, „Prävention statt Reaktion“, „Flexibilisierung statt Bürokratisierung“ und „Demokratisierung statt Bevormundung“ belegt, die in der Folge in Form sog. Strukturmaximen für eine zeitgemäße Jugendhilfe konkretisiert (u.a. BMFSFJ 1990, S. 85 ff ) wurden. Diese sind vor allem

 

  • die primäre und sekundäre Prävention, die sich zum einen auf Erhaltung und Herstellung lebenswerter, stabiler Verhältnisse richtet, in denen tiefgreifende Konflikte und Krisen möglichst nicht entstehen, als auch auf Hilfen in Situationen, die erfahrungsgemäß belastend sind und sich zu Krisen auswachsen können (vgl. BMJFG, 1990, S. 85)
  • Lebensweltorientiertes Handeln, das sich strukturell, fachlich und methodisch an den sehr unterschiedlichen Lebenslagen der einzelnen Adressaten oder Adressengruppen ausrichtet;
  • Dezentralisierung und Regionalisierung als geeignete Gestaltungsformen, um im Nachbarschaft, Orts- und Stadtteil an vorhandene regionale Beziehungen anzuknüpfen und ihre Vernetzung und Kooperation zu ermöglichen.
  • Alltagsorientierung präzisiert, was konkret lebenswelt- und lebenslagenorientierte Ausrichtung der Jugendhilfepraxis ist:
    • im Alltag zugängliche,
    • situationsbezogene Hilfen, die sich von einer fast ausschließlich individualisiert ausgerichteten Hilfe hin zu systemischen Handeln bewegen,
    • ganzheitlich auf die komplexen Erfahrungen im Alltag der Adressaten(-gruppen) gerichtet;
  • integrative Orientierung einer lebensweltorientierten Jugendhilfe, nach der die Träger der Jugendhilfe weder ab- noch ausgrenzen und jeder in jeder Lebenslage prinzipiell das Recht hat, dass auch ihm noch ein Angebot gemacht wird;
  • existenzsichernde Alltagsbewältigung als Handlungsprinzip, das, ausgerichtet auf die Sicherung von Grundbedürfnissen, die Voraussetzung dafür ist, überhaupt ein selbstbestimmtes Leben führen zu können;
  • Partizipation und Freiwilligkeit: Annahme bzw. Ablehnung von Angeboten hängen auch davon ab, ob und ggf. in welchem Umfang eine mitgestaltende Beteiligung der Klienten zugelassen ist, ob die Angebote oktroyiert sind oder freiwillig angenommen werden können;
  • die Strukturmaxime Einmischung verlangt, den Zuständigkeitsrahmen der Kinder- und Jugendhilfe zu verlassen und Angebote in Sektoren zu entwickeln, für die nach traditionellem Jugendhilfeverständnis andere Politikbereiche, Ämter, Organisationen zuständig sind und anwaltlich zugunsten junger Menschen und ihrer Familien tätig zu werden.

(vgl. Münder, Johannes. et al 2019, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe, 8., vollständig überarbeitete Auflage, Baden-Baden)

Familienbildung im Kontext Erwachsenenbildung

Familienbildung in der Erwachsenenbildung findet in der Regel ihre gesetzliche Grundlage in den auf Länderebene erlassenen Erwachsenen- und Weiterbildungs- bzw. Bildungsurlaubsgesetzen

Gesetze der Bundesländer

„Wird Familienbildung als Aufgabe der Erwachsenenbildung verstanden und über die Weiterbildungsgesetze gefördert, sind „Lernen im Lebenslauf“ und „lebenslanges Lernen“ im Zuge der Persönlichkeitsbildung primäre Bezugspunkte. Im Blick sind unterschiedliche Entwicklungs- und Veränderungsprozesse in und von Partnerschaften und Familien wie Beziehungsdynamiken, Familienplanung, Geburt, „empty nest“.Phase, Witwenschaft, Work/Life-Balance, Pflege, Erziehungsthemen… Ziel ist es, Erwachsenen (und Kindern) einen selbstbestimmten Bildungsprozess zu ermöglichen, der sie darin unterstützt, mit den Herausforderungen des Familienlebens besser umgehen zu können.

Heeg, H. (2020): Familienbildung – zwischen Erwachsenenbildung und Sozialer Arbeit in: Stimme der Familie, 67. Jg. Heft 1/2020, S. 3

„Familienbildung hat aber auch aufgrund ihrer doppelten ge-setzlichen Verankerung, im Rahmen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) sowie als Bestandteil der Grundversorgung im Rahmen des Weiterbildungsgesetzes, einen besonderen Status.[…] In ihrem meist kommunalen Handlungsrahmen ist Familienbildung Teil der örtlichen Bildungslandschaft und arbeitet in Vernetzung mit verschiedenen Angeboten und Diensten der Jugendhilfe. Aus dieser doppelten rechtlichen Verankerung ergeben sich Besonderheiten, denen rechtlich, fachlich und hinsichtlich der Zuständigkeiten Rechnung zu tragen ist.“ (S. 10)

„Familienbildung muss sich, wie die Weiterbildung insgesamt, stärker als bisher den gesellschaftlich induzierten Veränderungen mit ihren Auswirkungen auf Familien stellen: Die fortwährende Qualifizierung der Menschen zu einer eigenständigen Lebensführung durch lebenslanges Lernen, die Erschließung neuer Teilnehmergruppen, die Bedarfsgerechtigkeit und Transparenz der Angebote, die Integration von selbst gesteuertem und me-diengestütztem Lernen und die Entwicklung regionaler Bildungslandschaften als Antwort auf die Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft müssen auch von der Familienbildung im Zusammenspiel mit anderen Bildungsanbietern und anderen Trägern umgesetzt werden. Dies schließt insbesondere auch die Orientierung an den Anforderungen der Arbeitswelt und eine erhöhte Eigenverantwortlichkeit mit ein.“ (S. 15)

Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Nordrhein-Westfalen (2004): Zukunft der Familienbildung. Dokumentation eines Innovationsprojektes, S. 10

weiterführend auch: Wiesner, Reinhard – Kommentar zum § 16 KJHG (2019)

Weitere gesetzliche Grundlagen